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Theologe und DDR-Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer kämpfte für eine freie, friedliche Gesellschaft – seine Stimme wäre wohl nie wichtiger als heute, so Susanne Krause-Hinrichs, die Geschäftsführerin der Stiftung.

Es war im April 2019, als Friedrich Schorlemmer mich das letzte Mal bat, einen Kommentar von ihm auf der Seite der Stiftung online zu stellen. Er war seit vielen Jahren Stiftungsrat und sein publizistisches Engagement verband sich wirksam mit den Zielen der Stiftung. Der kurze und wie immer kraftvoll klare Text hatte die Überschrift „Seine Stimme erheben, nicht Stimmungen folgen“. Wie immer vereinigten sich darin Analyse und Appell, beides prägnant und plakativ und ebenso schonungslos formuliert:

„Verfolgt man die politischen Auseinander-Setzungen und Zusammen-Stöße, so drängt sich der Verdacht auf, dass aggressives Denken, Fühlen und Handeln in unserem Volk anwächst und öffentlich gezeigt wird. Vielfach ufert ein sich gegenseitig aufschaukelndes Hasspotential aus, zumal in den sog. sozialen Medien. Die Frustrationsabladeplätze quellen über.

Auf dem politischen Müllhaufen von diversem „Frust“ vereinigen sich durchaus divergierende Botschaften. Es schaukelt sich eine miese Stimmung auf. Einig sind sich Hassbotschaften darin, dass es „immer schlimmer“ werde. Und dass vor allem „die Ausländer“ und „die Politiker“ schuld seien. Einfache Parolen, vor allem neonationalistische, stoßen auf komplexe Problemlagen und befördern Polarisierung durch Vereinfachung“.

Es mag aus heutiger Sicht prophetisch gewesen sein, jedenfalls entsprang es den genauen Beobachtungen eines Mannes, der immer sein Ohr am Mund des Volkes behalten hatte und als Pfarrer in die Seelen der Menschen blicken konnte.

Als wir uns das erste Mal begegneten, überwog auf beiden Seiten die Skepsis. Es waren Vorbehalte, die sich aus den unterschiedlichen Biografien speisten und sich dann doch schnell in Luft auflösen sollten. Nach gemeinsamen Besuchen bei Jugendprojekten in Sachsen-Anhalt entdeckten wir, dass es die Bewunderung für die kleinen Initiativen demokratischen Engagements war, was uns verband. Ich gewann in ihm einen wortmächtigen Mitstreiter und Fürsprecher, der immer, wenn es notwendig war, seine Stimme erhob.

Sein Mut war legendär, er selbst aber wiegelte immer ab, wenn es um seinen furchtlosen Einsatz zu DDR-Zeiten ging. Den Heldenstatus mochte er nicht. Es war ihm wichtig, zu vermitteln – und das tat er in Gesprächen mit vielen jungen Menschen –, dass Zivilcourage eigentlich eine selbstverständliche Angelegenheit ist. Die Veranstaltungen im Rahmen der Jugend-Geschichtswerkstatt in unseren Räumen waren immer ausgebucht.

Manfred Stolpe, dem das Euphorische wesensfremd war, sprach immer wieder ungewöhnlich emotional vom Mut Schorlemmers. Er hatte ihn schon bei der Gründung der F.C. Flick Stiftung als Stiftungsrat gewonnen. Die beiden verband wohl eine tiefe Freundschaft, das war an dem respektvollen und zugewandten Umgang ablesbar. Wenn sie sich bei Treffen wechselseitig mit ihren altersbedingten Maläsen aufzogen, so hatte das etwas sehr Vertrautes. Friedrich Schorlemmer ließ nie einen Zweifel daran, dass es auch die schützende Hand des Konsistorialpräsidenten war, die ihn vor der Inhaftierung bewahrt hatte. Es war vorgesehen, dass er auf der Trauerfeier für Manfred Stolpe sprechen sollte. Seine Krankheit hat das verhindert, und sein Schmerz darüber war sicher groß.

Friedrich Schorlemmer kann seine Stimme nicht mehr erheben, dabei wäre es wohl nie wichtiger als heute. Wir können aber seine Worte wieder klingen lassen und an seinen Kampf für eine freie, friedliche und gerechte Gesellschaft erinnern.

Tagesspiegel vom 16.09.2024 ” Zum Tod von Friedrich Schorlemmer: Seine Worte wieder klingen lassen”