Am Abend des 9. Mai 2023 fand im Konferenzsaal des Hauses der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam die 2. Veranstaltung der Diskussionsreihe „Potsdam Publik: Debatten zum Antisemitismus“ statt.
Jesus? War ein Jude. Bis zu seinem Tod. Christus ist er erst später geworden. Ja, die christliche Religion entstammt dem Judentum. Trotzdem – oder gerade deswegen? – haben die Kirchen mit antisemitischen Bildern und Mythen die Gesellschaft jahrhundertelang vergiftet. Welche Verantwortung ergibt sich daraus für kirchliches Handeln heute? Kampf dem Antisemitismus – versprechen sie. Wenn das so ist: Müssen dann z. B. antisemitische Schmähplastiken aus dem Mittelalter entfernt werden? Oder reicht es, sie besser zu erklären?
Unter dem Titel „Lasst die Synagoge im Dorf“ diskutierten die Podiumsgäste:
- Dr. Christian Stäblein, Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO)
- Dr. Christian Staffa, Theologe und Antisemitismusbeauftragter der EKD
- Dr. Julius H. Schoeps, Historiker und Gründungsdirektor des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam sowie Vorstandsvorsitzender der Moses Mendelssohn Stiftung
- Susanne Krause-Hinrichs, Geschäftsführerin der F.C. Flick Stiftung gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Intoleranz und Vorstand der AMCHA-Stiftung Deutschland
Moderiert wurde die Veranstaltung von Stephan-Andreas Casdorff, Herausgeber des Tagesspiegels.
Die sogenannte Judensau war natürlich eine der meist diskutierten Fragen – Muss sie weg? Oder reicht es aus, sie zu kontextualisieren? Die Meinungen waren so kontrovers, wie komplex. Während mancher Podiumsteilnehmer strikt gegen eine Entfernung der Plastiken war und die Frage aufwarf, ob durch die Tilgung nicht auch eine Verfälschung von historischen Tatsachen einherginge, plädierten manche Teilnehmer für eine differenzierte Lösung: welche Plastik wird wo gesehen? Ist sie Teil der Liturgie?
Landesbischof Stäblein sagte hierzu im Artikel der MAZ vom 10.05.2023: “Wichtig sei, solche Darstellungen zu erklären, in ihren Zusammenhang zu stellen und sich zugleich scharf davon zu distanzieren, betonte er: Wo es beseitigbar ist, muss man es auch beseitigen.“
Mit Blick auf die Schmähplastik im Kreuzgang des Brandenburger Doms nahm der Gründer des Moses Mendelssohn-Zentrums, Julius H. Schoeps, im Artikel der PNN vom 10.05.2023 eine andere Position ein: “Entferne ich bestimmte anstößige Stellen aus dem Kulturgut, blieben leere Flecken“, sagte Schoeps. „Das ist eine große Gefahr.“ Man könne vieles erklären, und man sollte es erklären. „Ich bin fürs Erklären“, so Schoeps.”
Diskutiert wurde aber auch über interreligiösen Dialog, über dringend notwendigen innerchristlichen Dialog, der Verantwortung der christlichen Kirche an der bis heute andauernden Tradierung antisemitischer Bilder und der engen Verflechtung christlichen und jüdischen Glaubens.
Einig waren sich abschließend jedoch alle – Jesus war vor allem auch ein Mensch.
Presse
- PNN vom 10.05.2023 “Entfernen oder erklären? Debatte über antisemitische Motive an Kirchen”
- Domradio vom 10.05.2023 “Beseitigen, wo es beseitigbar ist”
- MAZ vom 10.05.2023 “Antijüdische Plastiken:Bischof Stäblein fordert scharfe Distanzierung – aber auch Erklärung”
- Evangelisch.de vom 10.05.2023 “Bischof Stäblein: Von antijüdischen Plastiken scharf distanzieren”
- Katholisch.de vom 09.05.2023 „Stäblein: Wittenberger ‚Judensau‘ muss entfernt werden“
- Meetingpoint vom 08.05.2023 “Lasst die Synagoge im Dorf – Potsdam Publik: Debatten zum Antisemitismus”
- Evangelische Zeitung vom 05.03.2023 “Lasst die Synagoge im Dorf”
Bilder: Corinne Holthuizen-Habermann