magdeburg_5Zu Beginn der 30iger Jahre lebten rund 1.900 Juden in Magdeburg- Nur wenige konnten sich in den Jahren nach der nationalsozialsozialistischen Machtergreifung in Sicherheit bringen. 1.400 Magdeburger Juden wurden deportiert und in den Vernichtungslagern ermordet.

Das Schicksal der Magdeburger Juden anschaulich zu machen, hat sich eine Magdeburger Filmgruppe vorgenommen. Seit Anfang April recherchieren Schülerinnen und Schüler einer 10. Klasse der Integrierten Gesamtschule Regine Hildebrandt gemeinsam mit jungen Filmern aus dem Offenen Kanal Magdeburg und in Kooperation mit dem Studiengang Journalistik der Hochschule Magdeburg-Stendal in zahlreichen Archiven in Magdeburg und Berlin. Zutage gefördert haben sie Artikel aus Zeitschriften und Zeitungen, historische Akten, zahlreiche Fotos, Filmausschnitte und sonstige Zeitdokumente.

Darüber hinaus sprechen sie mit Zeitzeugen: Magdeburger Juden, die die Shoa überlebt haben und in diesem Jahr auf Einladung der Stadt ihre ehemalige Heimat besuchen. Und sie sprechen mit Menschen, welche die Auswirkungen des Nationalsozialismus in der Elbestadt miterlebt haben.: Nicht-Juden, die damals noch Kinder und Jugendliche waren und sich noch an Schikanen, Ausschreitungen und den alltäglichen Antisemitismus erinnern können.

Bis Ende des Jahres soll ein Film entstehen, der das bisher kaum dokumentierte Schicksal der Magdeburger Juden darstellt. Er wird nicht nur im Offenen Kanal zu sehen sein, sondern auch interessierten Schulen als Unterrichtsmaterial zur Verfügung stehen. Schüler der Jahrgangsstufen 10 bis 12 der integrierten Gesamtschule “Regine Hildebrandt” in Magdeburg erarbeiten sich hier zunächst den zeitgeschichtlichen Hintergrund- Stichwort: “vom roten Magdeburg zum braunen Magdeburg” und beschäftigen sich dann intensiv mit dem Schicksal Magdeburger jüdischer Mitbürger. Drei ausgewählte Einzelbiographien werden dann besonders intensiv recherchiert. Am Ende steht die Produktion eines Films zu dem Thema in Kooperation mit dem Offenen Kanal Mageburg.

Über die lokale Presse suchen die Schülerinnen und Schüler jetzt nach Zeitzeugen:
„Juden in Magdeburg während des Nationalsozialismus – Filmgruppe sucht nach Zeitzeugen“

 Er war ein Jude und darum musste er gehen. Herbert Goldschmidt, stellvertretender Magdeburger Bürgermeister von 1931 bis 1933, entsprach nicht den rassischen Idealvorstellungen der Nazis. 1933 drangen SA-Männer in das Magdeburger Rathaus ein und führten den Sozialdemokraten und den damaligen Oberbürgermeister Ernst Reuter, ab. Goldschmidt musste, mit einer Hakenkreuzfahne in der Hand, zu Fuß den Weg zu dem so genannten “braunen Haus” der SA am Domplatz zurücklegen. Eskortiert von Schergen der Nazis und bedacht mit Spott und Hohn der Passanten. 1943 wurde er im Konzentrationslager Riga ermordet.

Über sein Schicksal wissen wir Bescheid spätestens seitdem durch die Stolpersteininitiative um Waltraud Zachhuber ein Gedenkstein für ihn im Pflaster vor dem Rathaus eingelassen wurde. Die Freiwilligen der Initiative haben weiter geforscht und eine erste Liste von Magdeburger Juden erstellen können, die von den Nationalsozialisten verschleppt und ermordet wurden.

Seit Mitte April ist auch eine Gruppe unter dem Dach des Offenen Kanals Magdeburg bemüht, die Schicksale der Juden in Magdeburg während des Nationalsozialismus zu ergründen Unter der Leitung von Julian Jostmeier, Journalistik- Student an der Hochschule Magdeburg-Stendal, arbeiten Schülerinnen und Schüler der Integrierten Gesamtschule Regine Hildebrandt gemeinsam mit Filmern des Offenen Kanals an einem Dokumentarfilm “Magdeburger Juden zur Zeit des Nationalsozialismus”.

Die Arbeit stützt sich hierbei auf die wenige Literatur und Aufzeichnungen aus dem Stadt- und Landeshauptarchiv sowie auf die Examensarbeit des jungen Historikers Hanno Fromm, die der Autor kürzlich im Magdeburger Rathaus einer interessierten Öffentlichkeit vorgestellt hat. Fromms Arbeit ist die erste große zusammenhängende Darstellung der Situation der 1973 Juden, die Anfang der 30iger Jahren noch in Magdeburg lebten. Doch es bedarf mehr um die Situation in Magdeburg filmisch zu beschreiben. “Die historischen Fakten sind relativ gut dokumentiert.” sagt Julian Jostmeier, doch was wir darüber hinaus suchen, sind lebendige Erinnerungen. Und die können uns nur Zeitzeugen geben.” Menschen also, die Geschichten aus diesen Jahren kennen und sie erzählen.

Als Glücksfall bei der Suche nach jüdischen Magdeburger Zeitzeugen erwies sich das “Visual History Archive”, das von dem amerikanischen Regisseur Steven Spielberg nach seinem großen Film “Schindlers Liste” in den neunziger Jahren begründet wurde und das in Los Angeles seines Sitz hat. Seit Beginn dieses Jahres ist es auch von Berlin aus zugänglich. In dem Archiv sind ausführliche Interviews mit insgesamt 52.000 Überlebenden des Holocaust gesammelt. 25 von ihnen sind in Magdeburg geboren und aufgewachsen bevor ihnen die Flucht aus Nazi-Deutschland gelang. Zur Zeit der Interviews in den neunziger Jahren lebten die gebürtigen Magdeburger in alle Welt verstreut. Sehr eindrucksvoll und mit zahlreichen Details berichten viele über ihre Kindheit in Magdeburg, in die mit dem Sieg der Nazis 1933 der tödliche Schrecken einbrach. Ab 1933 waren sie als jüdische Kinder und Jugendliche zunehmenden Pöbeleien auf der Straße und in der Schule ausgesetzt, “Jude” wurde zum Schimpfwort und Schikanen durch Lehrer, Mitschüler und SA-Leuten Alltag.

“Es war nicht einfach all die Geschichten anzuhören, die praktisch vor unserer Haustür begonnen haben” sagt Julian Jostmeier – “vor allem von jenen, die in die Vernichtungslager deportiert wurden”. So hat sich Regine Blumen, geb. Goldberg, an eine harmonische und behütete Kindheit in Magdeburg erinnert. Ihre Eltern besaßen ein Trikotagengeschäft auf dem Breiten Weg. Regine Blumen hat die Konzentrationslager Auschwitz, Ravensbrück und einen Todesmarsch überlebt. Oder Jutta Bendrewer, geb. Bron: Die Familie fühlte sich komplett als Deutsche, der Großvater, Rudolf Löwenthal, hatte in Buckau eine Arztpraxis, Während es den Eltern gelang, in die USA zu fliehen, wurden die Großeltern im KZ Sobibor ermordet.

Der Zufall wollte es, dass unter den Zeitzeugen des Spielberg-Archivs auch Günther Manneberg zu finden war, der heute in Australien lebt und den Namen George Mannings angenommen hat. Er ist der Enkel der Magdeburger Jüdin Hedwig Wandrow, die 1944 ermordet wurde und über welche die Filmgruppe um Julian Jostmeier bereits eine Menge herausgefunden hat.

George Mannings selbst gelang als vierzehnjährigem die Flucht nach England – seine Familie hat er nie wieder gesehen und von dem Schicksal seiner geliebten Großmutter und den anderen Verwandten hat er keine Ahnung.