Für sie fühlt sich kaum jemand zuständig: Junge Männer im ländlichen Raum, die bereits im Alter von fünfzehn bis siebzehn Jahren durch Gewalt- oder andere Straftaten auffällig geworden sind. Sie haben unzählige Schulwechsel hinter sich, standen vor dem Jugendgericht, ihre Eltern existieren nicht mehr oder fühlen sich mit der Erziehung überfordert, genauso wie Lehrer, Erzieher und Trainer in Sportvereinen. Die Jugendlichen befinden sich in sozialer Isolation von ihren Familien, sie werden überwiegend in intensivpädagogischen Einrichtungen betreut, wo ihre Handlungen rund um die Uhr kontrolliert werden. Ihr Leben befindet sich an einem Scheideweg. Die Wahrscheinlichkeit liegt hoch, dass sie in rechtsextreme oder kriminelle Milieus abrutschen, spätestens dann, wenn sie mit achtzehn aus den Einrichtungen entlassen werden. Für viele von ihnen ist Gewalt eine nahe liegende Möglichkeit, um mit Problemen umzugehen; eine Möglichkeit, die sie nutzen werden, bis sie im Strafvollzug landen; wenn sie nicht vorher lernen, aus der Gewaltspirale auszusteigen und ihrem Leben einen Sinn und eine positive Richtung zu geben. Deshalb setzen sich die männlichen Pädagogen des Potsdamer Vereins „Manne e.V.“ mit ihrem Forschungs- und Bundesmodellprojekt „Gratwanderung“ ein ganz praktisches Ziel: Sie wollen mithilfe eines Trainingsprogramms, diese gewalt-bereiten Jugendlichen dazu befähigen, der Gewalt in ihrem Leben abzuschwören. Gemeinsam wird mit den Jugendlichen ein positives Zukunftsbild entwickelt. Das Training stärkt die Eigenverantwortlichkeit und Entscheidungsfähigkeit der jungen Männer und versucht sie so gegen die „Verlockungen“ von rechts-extremistischen oder kriminellen (Gewalt-)Karrieren zu immunisieren. Im Mai startete die erste „Gratwanderung“ mit sieben Jugendlichen, begleitet von vier männlichen Pädagogen. Nach einer Kennenlern-Phase und intensiver biografischer Arbeit brach die Gruppe im Sommer zu einer Grenzerfahrungsfahrt auf dem tschechischen Wildfluss Szazava auf, wo sie sich mit Schlauchbooten den zahlreichen Stromschnellen stellte. Tägliche sportliche, logistische und mentale Herausforderungen verlangten von den Jugendlichen ungewohnt solidarisches und fürsorgliches Verhalten. Das so entstandene Vertrauen zu den begleitenden Pädagogen zahlte sich im anknüpfenden Modul zum „Umgang mit Gewalt“ aus. In sowohl körperorientierten, als auch das eigene Verhalten reflektierenden Lerneinheiten sichteten die Männer gemeinsam mit den Jugendlichen deren Gewaltbiografen und erarbeiteten eine Schlüssel-voraussetzung für einen gewaltfreien, erfüllenden Lebensentwurf: Die Fähigkeit des jungen Mannes, in kritischen Situationen die richtigen Entscheidungen zu treffen; nicht zuzuschlagen, sondern sich für eine zuvor gewählte, die eigenen Zukunftschancen wahrende Handlungsmöglichkeit zu entscheiden. In intensiven Gruppen- und Einzelbegegnungen arbeiten die männlichen Pädagogen unterdessen mit den Jugendlichen gemeinsam „Notfallpläne“ aus, auf die sie zurückgreifen können, wenn wieder mal Gefahr droht, dass eine Sicherung durchbrennt. So weitet sich für die Jugendlichen Stück für Stück der Lebenshorizont. Die bisherige Grundlebenserfahrung, ohnmächtig und abgeschoben zu sein, lässt sich gemeinsam verändern: Am Ende der Trainings, das nach den Modulen „Rollenbilder“ und „Lebensvision“ im Dezember 2012 abgeschlossen war, wartet die Option, dass auch sie, die Abgeschobenen, zum Schmied ihres eigenes Lebensglückes werden können. Unterstützt wird der Übergang ins „normale“ Leben durch ein Mentoren-Netzwerk, das sich derzeit im Aufbau befindet. Im Jahr 2013 sind weitere „Gratwanderungen“ geplant.