Was wissen wir eigentlich über Jugendwerkhöfe?

Mit dieser Frage beschäftigten wir Schüler uns in der Projektwoche am Leibniz-Gymnasium Potsdam vom 11. bis zum 15. April 2011. Um uns Klarheit über dieses Thema zu verschaffen, luden wir zwei besondere Gäste ein, zum einen die Autorin Grit Poppe, die ihren Roman „Weggesperrt“ vorstellte, und zum anderen den Zeitzeugen Stefan Lauter, welcher selbst Insasse eines Jugendwerkhofes war und uns Informationen aus erster Hand liefern konnte.

Die allgemeine Auffassung zu solchen Einrichtungen war es damals und ist es noch heute, dass in Jugendwerkhöfen kriminelle Jugendliche erzogen wurden. Diese Einstellung ist jedoch falsch. Dort waren vor allem politisch anders orientierte Jugendliche inhaftiert, so genannte „Staatsfeinde“.

Wer sich als Jugendlicher nicht wie ein frommer Sozialist benahm, musste immer mit der Gefahr leben, in eine solche Einrichtung eingewiesen zu werden. Wie weit Frau Poppe selbst davon entfernt war, kann man sich vorstellen, wenn man bedenkt, dass ihr Vater Oppositioneller war und dreißig Aktenordner in der Stasi-Behörde aufzuweisen hat. Als sie durch ihren Sohn erfuhr, dass dieses Thema in der Schule nur sehr knapp behandelt wird, entschloss sie sich, ihren Roman „Weggesperrt“ zu verfassen. Während ihrer eineinhalbjährigen Recherche lernte sie Stefan Lauter kennen. Er war vier Jahre lang Insasse in Erziehungseinrichtungen der DDR, sechs Monate davon in Torgau, dem einzigen geschlossenen Jungendwerkhof. Mit ihm zusammen hält sie nun nach der Fertigstellung des Buches Vorträge an Schulen.

Ein Bruch mit Tabuthemen der DDRUns erzählte Stefan Lauter über sein Leben, wie er kritische Fragen im Staatskundeunterricht stellte, wie er ganz offen aus der FDJ austrat und wie er schließlich in den Jugendwerkhof eingeliefert worden war.

Seine Mutter selbst, eine Zivilbeauftragte in der NVA, stellte einen Antrag auf Erziehungshilfe bei der Jugendhilfe der DDR. Daraufhin wurde er mit 15 Jahren in ein Heim gebracht. Da er sich dem System nicht fügen wollte, kam er über mehrere Zwischenstationen nach Torgau. Dort war es das Ziel, die Jugendlichen zu „allseitig entwickelten sozialistischen Persönlichkeiten“ umzuerziehen. Durch menschenunwürdige Maßnahmen wollte man ihren Willen brechen. So mussten sie bei jedem Wetter in kurzer Trainingskleidung auf dem Außenhof Sport treiben, durften nicht mit den anderen Häftlingen sprechen und standen sogar auf der Toilette unter Beobachtung. Auch sexuelle Übergriffe waren unter dem nachweislich pädophilen Direktor nicht selten.

All diese schrecklichen Umstände haben uns Schüler sehr bewegt. Es ist doch sehr erstaunlich, dass man als angehender Abiturient erst kurz vor dem Abitur und das auch nur durch eine außerplanmäßige Informationsveranstaltung von solchen Einrichtungen erfährt. In dieser Hinsicht scheint uns Baden-Württemberg zum Beispiel weit voraus zu sein. Dort ist der Roman „Weggesperrt“ fester Bestandteil der Schulliteratur geworden.

Unser besonderer Dank gilt der Flick-Stiftung, Frau Eich von der Gedenkstätte Lindenstraße und Herrn Röder vom Literaturbüro Potsdam für die finanzielle Unterstützung des Projektes.

Am letzten Projekttag präsentieren wir die Ergebnisse allen Schülern und Lehrern und übergeben das Videomaterial von der Veranstaltung dem Fachbereich Geschichte zur weiteren Nutzung im Unterricht.

Marcel O., Julia Z., Judith H.