Seit Januar 2004 läuft, inzwischen äußerst erfolgreich, das Schüler-Hilfsprojekt zugunsten von NS-Opfern in der GUS. Die alten Leute, welche zum Zeitpunkt ihrer gewaltsamen Deportation in das faschistische Deutschland oft in dem gleichen Alter waren wie ihre jungen Helfer heute, mußten auch nach dem Krieg, zurückgekehrt in ihre Heimat, schweigen. Sie, die in Unternehmen der deutschen Wirtschaft und in Privathaushalten ihre Jugend verloren, waren zu Hause die “Verräter”.
Das Schicksal vieler Angehörigen der älteren Generation während des Krieges und danach ist vielen Jugendlichen heute nicht egal. Dieses Geschichtsbewußtsein der jungen Generation reicht über die Ländergrenzen hinweg, und das ist der neuartige Ansatz des Schüler-Projektes: Freiwillige Schüler aus der GUS helfen ihren eigenen Landsleuten mit privaten Besuchen und praktischer Hilfe im Alltag, es werden gemeinsame Veranstaltungen organisiert, jung und alt besuchen gemeinsam das Theater, die Lebensgeschichten der Alten werden von den Jungen dokumentiert und für die Nachwelt erhalten, UND: Berliner freiwillige Schüler unterstützen das Projekt durch Spendenaktionen. Außerdem laden sie NS-Opfer aus der GUS an ihre Schulen ein, erfahren von noch lebenden Zeitzeugen, was es bedeutet: Krieg, Ausbeutung und Erniedrigung.
An dieser Stelle sollen die direkt am Projekt Beteiligten selbst zu Worte kommen:
Julja Stepanjenko (Schülerin) betreut die ehemalige Zwangsarbeiterin Ninel Francovna aus Minsk. Ihr Brief vom 1. Juni 2004:
„Man hätte Ninel Francovnas Augen sehen müssen, als wir ins Theater gingen. Was für ein Leuchten in ihnen war! Es tut weh, zu sehen, daß es viele völlig einsame und oft kranke Menschen gibt. Wie würde ich gern allen helfen, aber das allein zu schaffen, ist nicht möglich. Trotzdem hat sich mein Wunsch zum Teil erfüllt: Man muß einfach Menschen versammeln, denen das Schicksal ehemals minderjähriger Zwangsarbeiter, die während des Krieges nach Deutschland deportiert wurden, nicht egal ist. Sie haben dort für ihre Heimat, für unsere Heimat gelitten, deshalb ist es unsere Verpflichtung, solchen Menschen zu helfen. Ich hoffe, daß irgendjemand meinen Brief liest und selbst den Wunsch entwickelt zu helfen.“
Peggy S. (Schülerin) nach einem Treffen mit zwei ehemaligen Zwangsarbeitern / April 2004:
„Ich möchte weiterhin mit ihnen in Kontakt bleiben, weil ich ihnen das Gefühl geben möchte, dass auch die deutsche Jugend eine Brücke in die Vergangenheit bauen möchte, um miteinander in Frieden leben zu können und zu zeigen, dass sie mit ihrem Schicksal nicht allein sind.“
Julia Michajlovna Malej (ehemalige Zwangarbeiterin aus Kiew) / Brief vom 18. März 2004:
„Mich hat beeindruckt, daß die Schüler sehr gut die Zeit verstanden haben, in der wir als Schüler und auch kleine Kinder zwischen 1941 und 1945 lebten und überlebten. Bis zu unserem Treffen dachte ich, daß all die Leiden, welche die jungen KZ-Häftlinge ertrugen, die für Kinderschultern nicht auszuhaltende Arbeit, der Hunger, die Kälte, der Verlust der Verwandten und Freunde, die Erniedrigung durch die deutschen Bewacher in unserem Gedächtnis haften bliebe und niemand darüber erfahren würde. Aber als ich die bewegten Gesichter der jungen Menschen sah, ihre Worte hörte, habe ich begriffen, daß wir mit unserem Schmerz nicht allein bleiben. Die neue Generation wird alles machen, damit das faschistische Grauen, welches wir KZ-Häftlinge durchleben mußten, sich nie wiederholt. Vielen Dank, Euch Kindern des 21. Jahrhunderts. Mir ist nach dem Treffen mit Euch leichter ums Herz geworden.“
Bis heute sind in dem Projekt mehr als 60 Schüler aus Moskau, Minsk und Kiew sowie ca. 15 Schüler aus Berlin aktiv. Für über 50 ehemalige Zwangsarbeiter und andere NS-Opfer wurden persönliche Patenschaften übernommen. Praktisch unterstützt wird unser Programm auch von Friedensdienstleistenden von der “Aktion Sühnezeichen Friedensdienste” (ASF)
Im August 2004 findet in Moskau ein Internationales Sommerseminar für an unserem Projekt beteiligte Schüler aus den vier Staaten teil. Hier findet ein erstes Zusammentreffen der freiwilligen Helfer statt. Die Schüler berichten über Erfolge und Probleme ihrer bisherigen Arbeit und erhalten auch Ratschläge von Experten, denn die individuelle Betreuung von älteren Menschen ist, gerade für Schüler, eine sehr schwere Verantwortung.
Im Sommer 2005 treffen sich die Schüler noch einmal, diesmal in Kiew, und diesmal um über die geleistete Arbeit zu resümieren. Höhepunkt des Workcamps wird die Herrichtung einer sozialen Begegnungsstätte für NS-Opfer und Schüler sein. Die Beteiligung der Berliner Schüler an diesem Workcamp ermöglicht die F. C. Flick Stiftung.