Unbedingt musste ich sie kennen lernen, die Schülerin einer 12.Klasse der F.-W.-von-Steuben-Gesamtschule im Kirchsteigfeld. Sie war ganz spontan am Ende des Zeitzeugengesprächs zum Thema “Zivilcourage aus christlicher Verantwortung” auf die 75-Jährige zugegangen, umarmte sie und konnte Tränen der Rührung nicht verbergen. Die sie umarmte war die Österreicherin Anna Hackl (geb. Langthaler) aus einem kleinen Dorf nahe dem ehem. Konzentrationslager Mauthausen an der Donau.

“Irgendwie hatte ich das Bedürfnis, ihr zu sagen, dass ich sie bewundere – die Anna und ihre damalige Familie”, die über eine Zeit von drei Monaten (03.Februar-05.Mai 1945) zwei aus dem KZ Mauthausen ausgebrochenen sowjetischen Häftlingen Unterschlupf gewährten; unter den Bedingungen der unmittelbaren Nähe des KZ und in ständiger Angst, entdeckt zu werden. Das wäre für die gesamte Familie das sichere Ende gewesen. Eine solche Tat verdient es, einen ehrenvollen Platz in der Geschichte zu bekommen, meint Renate Valiev, 20 Jahre, geboren in Kirgisien, seit 1992 mit ihren Eltern hier in Potsdam. Während diese sympathische, zierliche Schülerin über die Begegnung mit Anna Hackl erzählt, ist sie noch immer ergriffen von der Schilderung der Ereignisse im eiskalten Februar 1945. Etwa 500 sowjetische Häftlinge, zumeist Offiziere der Roten Armee, unternahmen den verzweifelten Versuch, aus dem Todesblock 20 des KZ auszubrechen und in die Freiheit zu gelangen. Vielleicht 10 oder 15 haben überlebt. Nur von zweien weiß man es genau – Michail Rybtschinskij und Nikolai Zimkolo. Dank der Familie Langthaler. Alle anderen wurden – einer “Hasenjagd” gleich – von SS mit Hunden, Volkssturm, Wehrwolf und der Bevölkerung der Umgebung gehetzt, zerfetzt, erschlagen, erschossen. Gefangene durften nicht gemacht werden.

Für die Mutter von Anna Hackl war klar: “Wenn bei uns einer klopft, wir helfen.” Es klopfte am 03.Februar 1945. Die streng gläubige Mutter gewährte ihnen Unterschlupf in der Scheune, dann auf dem Hausboden. “Was hätten wir denn sonst tun sollen” wiederholt Anna die Worte ihrer Mutter. Die Ausgebrochenen an die SS ausliefern, hätte der Familie Langthaler gewiß viele unvorstellbare Ängste erspart. Das aber konnte die Mutter nicht mit ihrer christlichen Verantwortung vereinbaren. Sie übernahm damit die Verantwortung für die gesamte Familie, zunächst gegen den Willen des Vaters. Anna Hackl, damals 14-jährig, schilderte die Ereignisse, als täglich die Häuser durchsucht wurden und manchmal unvorhersehbare Zwischenfälle die Situation bis nahe an den Abgrund zuspitzten. “Die Mutter hatte immer so etwas wie eine Eingebung. Sie wußte in jeder Situation, was zu tun ist”, sagt Anna. Aus ihren Worten klingt Stolz auf ihre Mutter, auf den Vater und alle drei Geschwister, die davon Kenntnis hatten.

Renate Valiev: “Wie Frau Hackl da so vorn saß und voller Lebensfreude davon erzählte…! Man musste ihr einfach glauben, dass sie auf all das Geschehene im Nachhinein stolz ist. Ihr Leben hatte dadurch einen neuen, einen höheren Sinn bekommen, schien es. Ich habe ihr ‚danke!’ gesagt für ihren Mut damals und heute. Für mich war es eine wichtige Erkenntnis, zu erfahren, dass es auch damals Menschen gab, die nicht nur ihren eigenen Arsch zu retten versuchten, sondern Menschen geblieben sind.” Renate erhofft sich ein Wiedersehen mit Anna – vielleicht schon im Mai d.J. zur Befreiungsfeier in Mauthausen. Etwa 300 junge Leute in Schulen von Potsdam und im Land Brandenburg haben die schier unglaubliche Geschichte der Anna Hackl gehört. Sie hat Geschichtsunterricht der besonderen Art in 8 Zeitzeugengesprächen in der Woche vom 19. – 23.02.2007 erteilt, und sie hat die Herzen von Renate und vielen anderen jungen Menschen gegen Ausländerfeindlichkeit und für Zivilcourage erobert.