Im November 2003 und im Februar 2004 fanden in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte Kreisau Zeitzeugenseminare mit deutschen und polnischen Jugendlichen aus Realschulen statt. Im Mittelpunkt der Seminare standen die Jugendbegegnung und die „unmittelbare Begegnung mit der Geschichte”. Beide Programmpunkte traten in eine wechselseitige Beziehung und waren für die erfolgreiche Durchführung der Treffen gleichermaßen bedeutend und förderlich.
Nach der Begrüßung, einer Einführung und Kennlernspielen stand nach dem ersten gemeinsamen Abendessen ein kleiner deutsch-polnischer Sprachkurs auf dem Programm. Kreisau, seine Umgebung und seine Geschichte wurden am nächsten Morgen bereits in einzelnen Gruppen durch ein Geländespiel, die Kreisau-Rallye, selbständig „erfahren”.
Am Nachmittag fand ein erstes Plenum statt, auf dem die Zeitzeugengespräche in Arbeitsgruppen vorbereitet wurden. So wurden Fragen formuliert, Artikel für die Schülerzeitung konzipiert und erste Konzepte für Plakate entworfen. Am Abend stellten die deutsche und die polnische Gruppe Ergebnisse vor, die sie bereits im Vorfeld bei Interviews mit anderen Zeitzeugen in den Heimatorten der Jugendlichen erarbeitet hatten.
Am Folgetag wurde dann eine Einführung in die „oral history” vorgenommen. Dabei wurde den Jugendlichen unter anderem die Interviewtechnik vermittelt. Darüber hinaus wurden sie sensibilisiert, worauf in Gesprächen mit Zeitzeugen geachtet werden soll. Diesen theoretischen Teil des Nachmittags konnten die Jugendlichen für weitere Interviews mit Zeitzeugen nutzen.
Anschließend führten die Jugendlichen Gespräche mit zwei Zeitzeugen, die während des Zweiten Weltkrieges Zwangsarbeit in Deutschland leisten mussten. Den beeindruckenden Erlebnisberichten folgten Fragen und Diskussionen mit den Zeitzeugen. Am folgenden Nachmittag wurden die Gespräche ausgewertet und die Inhalte zwischen den beiden Gruppen ausgetauscht. Überrascht waren die Jugendlichen darüber, dass die Zeitzeugen sich teilweise positiv über ihre Erlebnisse während der Zwangsarbeit äußerten. So wurde mitunter von menschlichen Verhaltensweisen seitens der Deutschen, zaghaften Freundschaften und kleinen gemeinsamen Feiern auf den Bauernhöfen sowie von Kontakten, die nach dem Krieg weiter gepflegt wurden, berichtet.
Darüber hinaus bekamen die Gruppen die Möglichkeit, Niederschlesien kennen zu lernen. So besuchten die Jugendlichen die Schweidnitzer Friedenskirche, ein UNESCO-Denkmal und beeindruckendes Beispiel für die kunst- und bauhistorische sowie konfessionelle Entwicklung der Region. Außerdem stand ein Ausflug nach Breslau, zu allen Zeiten unumstrittenes kulturelles und wirtschaftliches Zentrum der Region Niederschlesien, auf dem Programm. Hier besichtigten die Jugendlichen die Innenstadt mit dem Ring, der Universität und der Dominsel – den Weg wies ein im Vorab vorbereitetes Stadtspiel.
Am Freitagvormittag wurden dann die Präsentationen der Arbeitsergebnisse vorbereitet und am Nachmittag kam es zum Höhepunkt der Projekttage: der Darstellung der Arbeitsergebnisse vor der gesamten Gruppe. Inhaltliche Tiefe und phantasievolle Darstellung, sei es durch bunte Plakate oder Theaterszenen, zeugten von gelungener intensiver Arbeit und von gutem Einvernehmen unter den Jugendlichen. Am Abend werteten die Jugendlichen die Begegnung in Kreisau aus.
Die Arbeitsergebnisse wurden zum Teil von den Gruppen mitgenommen oder in der IJBS zurückgelassen. Außerdem fand unter den Jugendlichen ein reger Austausch von E-Mailadressen statt, was auf einige entstehende deutsch-polnische Freundschaften schließen ließ. Die Organisatoren und die Durchführenden des Projekts waren beeindruckt von dem Engagement und dem rücksichtsvollen Miteinander, die die Begegnung prägten. Die Wahl der Realschulen für das Projekt haben wir als ganz besonders bereichernd empfunden.