Die Brise von der nahen Ostsee – es sind nur ein paar Meter bis zum Strand – lässt die Menschen frösteln, die sich am 5. März am Ufer des Kamper Sees zu einer Gedenkstunde zusammengefunden haben. „Egal, welcher Herkunft, egal, welche Farbe, welche Religion, welche Kultur: Nur der Frieden zählt“, sagt Pollet ins Mikrofon.
Sie ist 17 Jahre alt, in Kenia geboren und geht in die neunte Klasse der Johanna-von-Eck-Schule in Berlin-Tempelhof. Ihre Zuhörer nicken nachdenklich und sind voller Anerkennung für die Worte des farbigen Mädchens.
Gemeinsam mit ihren Mitschülern und den Schülern des Zbigniew-Herbert-Lyzeums in der polnischen Kreisstadt Trzebiatow hat sie sich mit der Katastrophe befasst, die sich vor 70 Jahren an diesem See ereignete.
Anfang März 1945 versuchte die deutsche Luftwaffe, tausende deutsche Kinder, die wegen des Bombenkrieges in die Heime der Kinderlandverschickung an der pommerschen Ostseeküste evakuiert worden waren, vor den heranrückenden sowjetischen Truppen in Sicherheit zu bringen. Wasserflugzeuge sollten die Kinder vom damaligen Fliegerhorst in Kamp nach Westen bringen. Am 5. März stürzte eine der bedenklich überladenen Maschinen kurz nach dem Start in den Kamper See. Die Besatzung, die Betreuer und etwa 70 Kinder kamen ums Leben. Bis heute liegt das Wrack mit den Toten auf dem Grund des Sees.
Zweimal hat sich die Gruppe getroffen, im Januar in Berlin, Anfang März in der Jugendbegegnungs- und Bildungsstätte (JBS) Golm, die der Volksbund auf Usedom betreibt. Die Gedenkstunde am Jahrestag des Unglücks ist der Abschluss dieses deutsch-polnischen Schülerprojektes, das der Volksbund organisiert hat, das jedoch ohne die Förderung durch die F. C. Flick Stiftung gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Intoleranz nicht möglich gewesen wäre.
„Wir wollten mehr über die Geschichte erfahren, andere Menschen kennenlernen und unsere Sprachkenntnisse verbessern“, sagt ein polnischer Schüler. Kinga Sikora, die pädagogische Leiterin der JBS Golm, betont, dass einige Berliner Schüler aus Afghanistan, Syrien oder afrikanischen Ländern stammen und deshalb selbst Erfahrungen mit Krieg und Flucht hätten. Das habe der Diskussion einen sehr persönlichen und aktuellen Bezug gegeben.
Die Jugendlichen haben Collagen erstellt, Plakate gemalt und Texte verfasst. Sie präsentieren ihre Ergebnisse in der Schule in Trzebiatow. Eine Handvoll Journalisten sind gekommen und auch einige Zeitzeugen, die damals als Kinder das Chaos am See miterlebt haben.
2011 rief Bürgermeister Zdzislaw Matusewicz eine Projektgruppe ins Leben, die sich die Bergung des Flugzeuges und die Erinnerung an die Tragödie vornahm. Bis heute aber ist es nicht gelungen, die Finanzierung einer Hebung sicherzustellen. Auch die technischen Möglichkeiten sind unklar.
Gelungen aber ist es, das jahrzehntelange Schweigen über die Kinder vom Kamper See zu brechen. Einen weiteren Beitrag dazu will der Volksbund leisten, so Generalsekretär Rainer Ruff, indem er einen kleinen Gedenkplatz in der Nähe des Sees errichtet. Seit 1948 heißt er Resko Przymorskie, war lange Zeit militärisches Sperrgebiet. Heute lockt er Erholungssuchende und Wassersportler an. Ob es eine weitere Schülerbegegnung geben wird, ist allerdings ungewiss.