In den kommenden Jahren werden zunehmend weniger ZeitzeugInnen zur Verfügung stehen, um ihre Erfahrungen und Erlebnisse während der Nazi-Diktatur den nachrückenden Generationen zu berichten. Genau solcher authentischer Berichte bedarf die gegenwärtige und zukünftige Erinnerungskultur jedoch, insbesondere in Zeiten, in denen die AFD eine „Wende in der politischen Erinnerungskultur um 180 Grad“ fordert.

Das Erich Zeigner Haus versucht diese Lücke durch Jugendprojekte, in denen ausschließlich Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher Schulformen mit dem Verein zusammenarbeiten, langfristig zu schließen. Durch die gemeinsame historische Forschungsarbeit zu Biografien einzelner NS-Opfer, aber auch zu konkreten Schicksalen von „Stillen Helden“ des Widerstands wird Geschichte für die SchülerInnen konkret fassbar. Am Ende eines jeden Projektes steht immer auch das Setzen eines Denkmals – entweder in Form einer Gedenktafel, eines Stolpersteins oder auch einer Publikation. Die einmal gesetzten Denkmäler werden anschließend nicht dem Vergessen ausgeliefert, sondern gemeinsam mit anderen BürgerInnen regelmäßig gepflegt, um dadurch ein kontinuierliches und nachhaltiges Gedenken und Mahnen zu bewirken.

So wurde in Zusammenarbeit mit einer 11. Klasse der Neuen Nikolaischule ein einjähriges Jugendprojekt im Rahmen eines Kasachstan-Austausches für die 14-köpfige, jüdische Familie Rafe realisiert. Die dabei 14 verlegten Gedenksteine bildeten das bisher größte Jugendprojekt des Erich-Zeigner-Haus e.V. und die größte Verlegung von Stolpersteinen in Sachsen. Sie sind am 19.09.2016 unter Anteilnahme zahlreicher SchülerInnen und Angehöriger der Familie Rafe aus den USA und Israel in den Boden vor deren letzten frei gewählten Wohnort eingelassen. Nach der Verlegung  fand ein gemeinsamer Projektabschluss mit den Nachkommen und mit der einzigen Überlebenden der 14-köpfigen jüdischen Familie Rafe im Erich-Zeigner-Haus e.V. statt. Dabei erzählte die 87-jährige Zeitzeugin Clara Ringel, geb. Rafe, welche heute in New York lebt, dass sie drei Konzentrationslager überlebte (Auschwitz, Theresienstadt und  Bergen-Belsen) und heute mehr als froh darüber ist, dass es Projekte wie dieses gibt, die daran mahnend erinnern. Die Kasachische Austauschgruppe, welche den Verlegetag mit erlebte, versucht nun in Zusammenarbeit mit dem Erich-Zeigner-Haus e.V. die Erinnerungsform der Stolpersteine auch in Kasachstan zu etablieren.

In Zusammenarbeit mit SchülerInnen der 10. Klasse aus dem Kant-Gymnasium Leipzig hatte sich ab April 2016 ein „Stille Helden Projekt“ dem Widerstandskämpfer Wolfgang Heinze gewidmet. Dieses Projekt wurde als Reaktion auf  den Überfall  der  Wolfgang Heinze Straße von etwa 250 Neonazis im Januar 2016 in Leipzig ins Leben gerufen, um sich erinnerungskulturell an die Zivilcourage Wolfgang Heinzes mit Jugendlichen und Zeitzeugen zu erinnern. Dieser setzte sich u.a. als Direktor der Leipziger Köllmann Werke für bessere Lebensbedingungen von Zwangsarbeitern ein und agierte darüber hinaus in einer Leipziger Widerstandsgruppe, wofür dieser schließlich noch im Januar 1945 von den Nazis ermordet wurde. Am 25.01.2017 konnte die Gedenktafel an seinem letzten Wohnort in der Kochstraße 66 unter hoher öffentlicher Beteiligung angebracht werden.

Einen großen politischen Erfolg gegen antisemitische Tendenzen in Vergangenheit und Gegenwart erreichten Schülerinnen und Schüler der 11. Und 12. Klasse des Neuen Nikolaigymnasiums in Zusammenarbeit mit dem Erich-Zeigner-Haus e.V. und der Nikolaikirche Leipzig  im August 2016. Nach etwa zwei Jahren Recherchearbeit erarbeiteten sie gemeinsam eine Broschüre über die Verfolgungsgeschichte des „jüdisch-christlichen“ Pfarrers Ernst Lewek in der berühmten Leipziger Nikolaikirche in den 30er Jahren. Durch die anhand der Broschüre nachgewiesene rassistische Verfolgung des Pfarrers durch die Nikolaikirche aufgrund seines jüdischen Vaters schaffte die Projektgruppe es, dass der ehemalige „historische Gemeindesaal“ der Nikolaigemeinde vom Kirchenvorstand am 23. August 2016 in „Ernst-Lewek-Saal“ umbenannt wurde und im inneren des Saals eine Gedenktafel an sein Wirken auch als Mitglied im „Pfarrernotbund“ erinnert. Die Projektgruppe, die Nikolaikirche und der Erich-Zeigner-Haus e.V. setzten damit ein sichtbares und erinnerungskulturelles Zeichen gegen Antisemitismus.

Durch das „historische Lernen“ in allen Jugendprojekten wurden die SchülerInnen selbst zu „Zeit-Zeugen“ und erfuhren unter anderem, dass alltägliche Zivilcourage nicht nur nötig, sondern in jeder gesellschaftlichen Notlage durch vielfältige Formen auch möglich ist.

Über ihre Projektarbeit mit Jugendlichen gab der Verein 2016 neben der Broschüre auch weitere Publikationen wie etwa „Stolpersteine in und um Leipzig. Jugendprojekte des Erich-Zeigner-Haus e.V.“ heraus.